SMARTe Ziele – Von der Wirklichkeit zum Traumleben?
Egal ob im Job oder im Privatleben: Irgendetwas fehlt immer oder könnte zumindest noch etwas besser sein. Abnehmen, mit dem Rauchen aufhören, ein Buch schreiben, befördert werden – in fast allen Lebensbereichen setzen wir uns deshalb Ziele, die wir „irgendwann einmal“ erreichen möchten. Auch in der Persönlichkeitsentwicklung wird Zielen eine herausragende Bedeutung zugesprochen. Mindestens SMART sollen sie sein – also spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und terminiert.
Doch häufig fangen die Schwierigkeiten schon einen Schritt früher an: Was sind denn meine Ziele? Im ersten Moment klingt das nach einer einfachen Frage. Wohl nicht zuletzt deshalb, weil sich einige Ziele wie Abnehmen, Schriftsteller werden, mehr Freizeit zu haben oder mehr Geld zu verdienen in nahezu jedem Leben gut machen würden. Doch denkt man ernsthaft darüber nach, wohin man im Leben kommen möchte, verstecken sich in letzter Konsequenz oft die großen Lebensfragen dahinter: Was will ich eigentlich im Leben? Wofür bin ich hier? Mit was möchte ich mich beschäftigen? Wo setze ich meine Prioritäten?
Unsere international vernetzte und digitalisierte Multi-Optionsgesellschaft stellt uns eine nahezu unbegrenzte Anzahl an Möglichkeiten und Lebensentwürfen zur Auswahl. Wenig überraschend also, dass viele Menschen sich überfordert von diesen Fragen abwenden und – wenn überhaupt – gesellschaftlich anerkannte oder sozial erwünschte Zielformulierungen für sich übernehmen: Ok, wenn mein Körper nicht den Schönheitsvorstellungen der Gesellschaft entspricht, dann sollte ich wohl abnehmen. Oder Nun, gut, in meinem Alter sollte ich wohl jetzt ein Haus bauen, Kinder bekommen, befördert werden – das nächste „logische“ Ziel ist schnell gesetzt, das machen schließlich ‚alle‘ so. Puh, das hätten wir also schon mal. Jetzt nur noch schnell auf einige Motivationsexperten schielen und im Nu ist das Ziel dann auch SMART formuliert. Na, wer sagts denn!? Dann kann es jetzt ja los gehen!
Für die eigenen Ziele kämpfen
Mit unserem SMARTen und hoffentlich vorbildlicherweise auch schriftlich festgehaltenen Ziel haben wir jetzt zwei Möglichkeiten. Erstens: Wir schaffen es. Zweitens: Wir schaffen es nicht. Ganz einfach eigentlich.
Fangen wir mit dem „Worst Case“ an, der uns wohl allen auf die ein oder andere Art vertraut sein dürfte. Wenn wir unser Ziel nicht erreichen (oder glauben, es nicht zu erreichen), baden wir bereits auf dem Weg dahin gerne in Vorwürfen. Ganz nach Stimmungslage richten sich diese dann entweder an andere oder auch an uns selbst. Der Chef sieht einen nicht, der Kollege drängt sich ständig in den Vordergrund, der Partner ist einfach immer unaufmerksam und überhaupt hatte man im Leben nie gute Vorbilder. An manchen Tagen beschuldigt man sich dann selbst. Vielleicht hat man einfach nicht hart genug dafür gearbeitet?! Kein Problem: Eine strenge Radikaldiät oder eine ordentliche Portion Überstunden kann man sich problemlos selbst verordnen. Das wäre doch gelacht – Augen zu und durch! Der befürchtete Jojo-Effekt (im Falle der Mehrarbeit die Notwendigkeit einer anschließenden Erholungspause) ist zwar mittlerweile weithin bekannt, wird aber zunächst ignoriert. Dem Ziel zuliebe, versteht sich. Das will man ja erreichen; dafür muss man sich halt ein bisschen anstrengen.
Ich möchte an der Stelle jetzt nicht auf alle möglichen Hindernisse eingehen – Stolpersteine gibt es definitiv genug. Und selbstverständlich auch Strategien, um diese aus dem Weg zu räumen. Die gute Nachricht: Manche davon helfen sogar tatsächlich! Zusammenfassend festhalten möchte ich aber, dass der Weg zum Ziel häufig anstrengend und beschwerlich ist. Das wird meist bereitwillig hingenommen – man muss schließlich für seine Ziele kämpfen!
So weit, so gut. Nun sind wir schließlich bei der zweiten Möglichkeit angekommen: Ziel erreicht, yeah! Vielleicht direkt und überwiegend problemlos, vielleicht auch über Umwege und harte Arbeit. Aber das ist jetzt egal: Es hat sich schließlich gelohnt! Wir sind mächtig stolz auf uns und freuen uns. Von ganzem Herzen. Bis… Wir zum Beispiel feststellen, dass unsere Kollegin noch mehr Geld verdient. Oder der Bekannte in kürzerer Zeit deutlich mehr abgenommen hat als wir selbst. Das war es dann auch mit der Freude. Na gut, dann setzen wir uns das nächste Ziel; wir wollen ja schließlich voran kommen im Leben! Das nächste Mal müssen wir uns wirklich mehr anstrengen! Und apropos anstrengen – kleine Misserfolge und Rückschläge haben es sowieso gezeigt: Man selbst verfügt einfach nicht über die notwendige Selbstdisziplin. Wie will man es denn so jemals zu etwas bringen? Das kann man so nicht lassen! Et voilà, direkt ein weiteres Ziel: mehr Selbstdisziplin aufbauen!
Nur zwei Dramen im Leben eines Menschen
Natürlich ist absolut nichts Falsches daran, sich Ziele zu setzen und diese auch zu verfolgen. Und selbstverständlich bezieht sich ein Ziel immer auf ein „schneller, höher, weiter, besser“ als es der aktuelle Status Quo hergibt. Ein Ziel, das unsere aktuelle Ausgangssituation verschlechtert, wäre wohl auch eher kontraproduktiv. Aber dieses ständige „schneller, höher, weiter, besser“ birgt unter den oben beschriebenen Umständen eine große Gefahr: Wenn wir immer „hart für unsere Ziele arbeiten“ und uns „durchkämpfen“, nur um a) trotzdem zu scheitern (und uns selbst und andere dafür zu verurteilen) oder b) uns eine unverhältnismäßig kurze Zeit zu freuen und dann erneut in den „Zielerreichungs-Kampf-Modus“ zu verfallen – wozu dann das Ganze?
Diese Absurdität wird mit den folgenden Worten auf den Punkt gebracht: „Es gibt nur zwei Dramen im Leben: Ein erfüllter Wunsch und ein unerfüllter Wunsch“. Es lässt sich leider nicht mehr genau nachverfolgen, von wem diese Worte ursprünglich stammen; ich selbst bin bei einem Vortrag von Dieter Lange darauf gestoßen. Dieser führt dort aus: Ist der Wunsch erfüllt, also das Ziel erreicht, entsteht nach kurzer Freude eine Leere, die möglichst rasch mit einem neuen Wunsch gefüllt wird. Im Falle des unerfüllten Wunsches quält die Sehnsucht nach Erreichen des Ziels: Wann habe ich es endlich „geschafft“?
Unser Leben entwickelt sich dann also letztlich zu einer Art ständigem Kampf, in dem wir grundsätzlich erstmal unzufrieden sind. Im besten Fall wird diese Grundstimmung hin und wieder unterbrochen – durch die wenigen Momente des Hochgefühls, nachdem wir ein Ziel erreicht haben. Diese positive Stimmung hält dann vielleicht ein paar Tage an; maximal aber so lange, bis wir ein neues Bedürfnis entdecken, das gerade noch unerfüllt ist. Und dann setzen wir uns rasch ein neues Ziel (SMART natürlich, und auch wieder schriftlich) – und alles beginnt von vorne.
Sinn und Zweck von Zielen
Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber ich persönlich setze mir selbst Ziele mit der Absicht, mein Leben zu verbessern – egal in welchem Lebensbereich. Ich hab lange gebraucht, um zu verstehen, dass ich durch die „Arbeit an meinen Zielen“ das genaue Gegenteil bewirke. Statt mein Leben zu verbessern und mein Wohlbefinden zu erhöhen haben mich meine Ziele in meiner eigenen Unzufriedenheit gefangen gehalten. Prima, dachte ich mir, du hast ihn gefunden, den Weg in die dauerhafte Unzufriedenheit. Herzlichen Glückwunsch! Aber immerhin: Einsicht ist der erste Weg zur Besserung. Und tatsächlich, es wurde besser. Es geht nämlich auch anders. Aber eins nach dem anderen.
Wenn Ziele also der sichere Weg ins Unglück sind, sind dann keine Ziele der sichere Weg ins Glück? Nun, das wäre wohl auch zu einfach. Fakt ist: Man kann sicherlich auch ohne Ziele zufrieden sein, aber Ziellosigkeit allein reicht nun auch wieder nicht aus. Schließlich können uns Ziele motivieren, über uns selbst hinauszuwachsen; sie geben unserem Handeln eine Richtung und fokussieren unsere Aufmerksamkeit. Keine Ziele sind also auch keine Lösung. Im nächsten Beitrag werde ich deshalb darauf eingehen, was wir tun können, damit unsere Ziele tatsächlich ihren Zweck erreichen: Nämlich unser Leben besser und schöner zu machen und uns mit immer mehr Zufriedenheit zu erfüllen.
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