Als ich vor einiger Zeit durch meinen LinkedIn-Feed scrollte, brachte mich ein Beitrag rund um (Un-)Gerechtigkeit und (Un-)Gleichheit auf folgende Idee: Ich könnte ein Dschungel-Survivalcamp anbieten. Ja, richtig gehört. Das liegt nicht etwa daran, dass ich da meine persönlichen Kompetenzen einbringen könnte (man muss ja auch delegieren können), sondern schlichtweg weil ich einen immensen Bedarf erkannt habe: Dieser Kurs wäre nämlich für Delphine. Ja, richtig gelesen. Falls Sie sich jetzt fragen, ob ich vollkommen übergeschnappt bin und warum zum Teufel ein Delphin im Dschungel überleben können sollte: Seien Sie beruhigt und lesen Sie einfach weiter.
Besagter Post stimmte mich nachdenklich. In was für einer Welt könnten wir leben, wenn wir uns mit Blick auf einen konstruktiven Umgang mit Unterschieden als Gesellschaft auf zwei Dinge konzentrieren würden:
1. Die Ursachen von Ungleichheit identifizieren und soweit wie möglich abbauen (statt die daraus entstehenden Folgen zu „bekämpfen“).
2. Die verbleibenden, nicht (komplett) veränderbaren Unterschiede (wie zum Beispiel Größe, biologisches Geschlecht oder Geburtsland) als Teil unserer individuellen Einzigartigkeit begreifen und so einsetzen, dass sie sowohl für den Einzelnen als auch für die Gesellschaft als Ganzes einen Mehrwert stiften. Egal, ob Sie – bezogen auf Ihre Körpergröße – besonders hoch gewachsen, besonders klein sind oder irgendwo in der Mitte anzusiedeln gibt: Es gibt immer Situationen, in denen die jeweilige Ausprägung einen Vor- oder eben einen Nachteil darstellt. Die Unveränderbarkeit des Merkmals vorausgesetzt: In welche Situationen sollte sich der oder die Betroffene öfter begeben? Ich weiß, so formuliert klingt die Frage schon fast rhetorisch: Natürlich in solche, in denen sie ihre Unterschiede als Trümpfe nutzen können!
Der Delphin im Dschungel
Doch leider sieht die Realität häufig ganz anders aus: Wir stellen unsere Schwächen in den Vordergrund, wollen irgendwie anders sein als wir jetzt gerade in diesem Moment sind. Irgendwie besser. Wir kämpfen uns durch. Wie der Delphin vom Anfang des Beitrags durch den Dschungel. Es wird viel Energie, Zeit und Nerven kosten – und doch wird er im Vergleich zu nativen DschungelbewohnerInnen immer den Kürzeren ziehen. Klar ist: Die Überlebensfähigkeiten des Meeressäugers im Dschungel sind in jedem Fall verbesserungswürdig. Aber was zum Teufel macht ein Delphin im Dschungel? In der Natur klingt diese Frage so grotesk. Schauen wir aber auf uns Menschen, sieht die Realität häufig genauso aus.
So oft suchen und schaffen wir Situationen und Rahmenbedingungen, die nicht unserem Naturell entsprechen. In denen unsere Einzigartigkeit uns zum Nachteil ausgelegt wird. Häufig, weil die gesellschaftliche Norm etwas anderes für erstrebenswert erachtet. So mogeln Highheels ein paar Zentimeter dazu, denn in dieser Hinsicht ist mehr mehr (so lange es nicht zu viel ist!). Unterwäsche und Kleidung im Allgemeinen sorgen an der einen Stelle für mehr, an der anderen Stelle für weniger. Schließlich gibt es klare Vorstellungen, welche Proportionen ein schöner Körper aufweisen sollte. Und nein, dieses Phänomen ist keinesfalls auf Äußerlichkeiten beschränkt: Ein gewisses Maß an Extrovertiertheit ist durchaus erwünscht – zu viel aber bitte nun auch wieder nicht. Gleiches gilt für Empathie, Ellenbogen und Ehrgeiz und natürlich viele mehr.
Aber wer macht eigentlich diese „gesellschaftliche Normen“? Natürlich sind die Medien daran beteiligt und auch die eigene und kollektive Geschichte spielt eine wesentliche Rolle. Aber auch wir selbst leisten hier und heute einen wesentlichen Beitrag dazu, wenn wir diese abstrakten Erwartungen als Maßstab für unsere eigene Bewertung heranziehen.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Neue Fähigkeiten zu lernen ist wichtig und gehört zum Leben dazu. Und manchmal lädt uns das Leben förmlich dazu ein, die eigene Komfortzone zu verlassen, indem es uns dazu zwingt, uns mit unseren Schwächen zu konfrontieren. Aber auch dann haben wir die Wahl: Müssen wir in diesem Bereich künftig wirklich zu den Besten gehören? Worauf liegt unser Fokus?
Verdeutlichen wir es anhand des Delphin-Beispiels: Konzentrieren wir uns auf die Anmut und Leichtigkeit, mit der das Tier durchs Wasser gleiten kann? Oder auf seine Unfähigkeit, sich von Liane zu Liane zu schwingen und im Dschungel zu überleben? Beides stimmt offensichtlich. Die Frage ist: Welchen dieser Fakten nehmen wir als Grundlage? Wodurch definiert sich der Delphin – oder wir ihn? Und was kann er von den BewohnerInnen des Dschungels lernen – und was ihnen beibringen?
Und jetzt zu dir: Was macht dich in deinen Augen aus? Das was du kannst, deine Stärken und Erfolge? Oder deine Rückschläge, Schwächen und sonstigen Unpässlichkeiten? Fang bei dir selbst an – und setze dafür (wenn nötig) die Brille eines dir nahestehenden und wohlgesonnen Menschen auf. Erst dann kannst du auch andere Menschen in ihrer Ganzheit, Echtheit und Einzigartigkeit sehen – und so einen weiteren kleinen Schritt hin zu globaler Gerechtigkeit und Chancengleichheit tun.
Schreibe einen Kommentar